Literatur im Rathaus
Lesungen der Vorjahre
5. Februar 2023
Gekonnt fesselte Michael van Ahlen seine Zuhörer mit Erzählungen des bedeutenden irischen Schriftstellers Liam O’Flaherty, der in seinen Werken die menschlichen Gefühle so zutreffend und einfühlsam beschreibt, daß die Leser/Zuhörer sich in all seinen Geschichten leicht wiederfinden können.
8. Januar 2023
Michael van Ahlen stellte in seiner Lesung nicht den Romancier oder Kinderbuchautor, sondern den Lyriker Erich Kästner vor. Dessen zeit- und gesellschaftskritischen Gedichte bleiben zeitlos.
© Ruhr Nachrichten, 17. Januar 2023
Erich Kästner-Lesung zog Zuhörer in Bann
Allein der Titel der Lesung am 8. Januar 2023, nämlich Erich Kästners „Herz auf Taille“ und „Gesang zwischen den Stühlen“ verhieß „Das kann ja heiter werden! „
Michael van Ahlen, dem Magier mit der Chamäleon-Stimme und dramatischer Pausen, ausdrucksstarker Mimik und Gestik, gelang es, an jenem trüben Nachmittag, in jedem gebannten Zuhörer den Zauber der frühen Kindheit und Jugend zu wecken. „Ach ja“, seufzte jemand, „Emil und die Detektive“, wie habe ich das Buch geliebt!“ Die Gedichte des genialen Vielschreibers jedoch waren den meisten gänzlich unbekannt.
In seinem ersten Buch „Herz auf Taille“ beschwören die Gedichte des großen deutschen Humoristen den Tanz auf dem Vulkan der Zwanziger Jahre herauf, deren Botschaft heute so brandaktuell ist wie damals. In „Gesang zwischen den Stühlen“ legte Kästner Zeugnis ab vom Endspiel der Weimarer Republik. Mit viel Herz und hellwachen Augen lässt er uns darin die Lügen jener Zeit durchschauen, indem er uns warnend den Spiegel der Wahrheit vorhält.
Eva Masthoff
P.S. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, sagte Erich Kästner. Ein guter Rat, auch für 2023!
4. Dezember 2022
Sabine van Ahlen las die äußerst merkwürdige Weihnachtsgeschichte von Heinrich Böll „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ mit einem feinen Gespür für die Nuancen vor. Mitglieder des Kinder- und Jugendchors der Musikschule Recklinghausen unter Leitung von Katharina Höhne und in Begleitung des Pianisten Michael Friedmann versetzten die Besucher in eine vorweihnachtliche Stimmung. Der Applaus für alle Akteure war enorm.
© Ruhr Nachrichten, 16. Dezember 2022
Böll-Lesung nahm Bigotterie deutscher Weihnachten aufs Korn
Die Lesung im Rathaus sorgte für vorweihnachtliche Stimmung. Sabine van Ahlen las in bewusst lakonischem Tonfall Heinrich Bölls so absurde wie symbolträchtige und doppelbödige, 1951 geschriebene, 1952 veröffentlichte und vielfach übersetzte Erzählung „Nicht nur zur Weihnachtszeit“. Klangvoll untermalt wurde diese von Mitgliedern des Kinder- und Jugendchors der Musikschule Recklinghausen unter Leitung von Katharina Höhne und Klavierbegleitung von Michael Friedmann.
Vordergründig geht es um die nach Ende des Krieges sich nach Weihnachten und Weihnachtsbaum sehnende Tante Milla, die ab 1947 ihre Familie dazu zwingt, fortan Weihnachten zu perpetuieren, Abend für Abend, das ganze Jahr hindurch – mit verheerenden Auswirkungen. Auslöser war ihre hysterische Reaktion auf den Abbau des Weihnachtsbaumes im Jahr 1946. Böll nimmt mit spitzer Feder nicht allein die Bigotterie deutscher Weihnachten aufs Korn, dieses Verweigern, sich der historischen Vergangenheit zu stellen. Dass dieses Thema inzwischen wieder brandaktuell ist, bewies der langanhaltende Applaus für Leserin und Sänger. Eva Masthoff
6. November 2022
Michael und Sabine van Ahlen entzündeten in ihrer Lesung am 06.11.2022 ein Feuerwerk jüdischen Humors.
© Ruhr Nachrichten, 14. November 2022
Ein Feuerwerk aus rabenschwarzem Humor, Selbstironie und Chuzpe
Einen Streifzug in elf Etappen durch jüdische Witze, allerlei bekannte und weniger bekannte Erzählungen, Anekdoten und Pointen zwischen Tradition und Moderne haben die Vorleser Sabine und Michael van Ahlen bei ihrer Lesung „Wenn man trotzdem lacht“ einem gut gelaunten Publikum geboten.
Ein schillerndes Feuerwerk an rabenschwarzem, doppelbödigem, ja geradezu surrealistischem Humor, beißender Selbstironie, Galgenhumor und Chuzpe (Schneid, charmante Dreistigkeit), wobei auch die den Juden durch bittere Erfahrungen angeborene melancholische Weisheit und somit ihre wechselreiche Geschichte zu Wort kam. Welch eine glänzende Performance von „Talmudisches Denken“ (1. Kapitel), über „Die jüdische Familie“ (Kapitel 8) – mit besonderem Akzent auf die jüdische Mutter -, bis hin zu „Wie man einen Witz vermasselt“ (Kapitel 11). Natürlich spielte Mame, die jüdische Mutter, in vielen gestik- und mimikreichen Sketchen eine tragende Rolle, die das Publikum zu wahren Lachsalven hinriß.
Fazit des Abends: Der jüdische Humor hat bis zum heutigen Tag nichts von seiner überlebensstrategischen Wirkung verloren. Er hat Verfolgung und vieles mehr überlebt. Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse, hat es einst auf den Punkt gebracht: „Der Witz ist die letzte Waffe des Wehrlosen“. Glänzendes Schlußlicht war Tucholskys Kurzgeschichte „Ein Ehepaar erzählt einen Witz“. So manchem Paar im Saal war es, als lausche es der eigenen Unterhaltung. E. M.
2. Oktober 2022
In seiner Lesung am 02. Oktober 2022 präsentierte sich Michael van Ahlen als Märchenerzähler. Er trug aber keine Kindermärchen vor, sondern einige Erzählungen aus der zur Weltliteratur gehörenden Sammlung „Tausendundeine Nacht“. Die Zuhörer waren einigermaßen überrascht von der teilweise deutlichen Erotik und Freizügigkeit dieser weit über 500 Jahre alten Geschichten. Auf Grund seiner exzellenten Vortragsart klangen aber selbst die erotischsten Passagen bestenfalls heiter-frivol.
3. April 2022
Michael van Ahlen las in seiner vortrefflichen Art Michael Köhlmeiers launige Nacherzählungen der beiden Komödien „Ein Sommernachtstraum“ und „Ende gut, alles gut“ von William Shakespeare.
6. März 2022
Michael van Ahlen liest Wilhelm Busch, musikalisch begleitet von Katerina Krey.
© Ruhr Nachrichten, 12. März 2022
Literatur im Alten Rathaus zog Zuhörer in den Bann
Voller Saal! Da saßen sie nun, die zarten Kinderseelen von damals, denen die erstmals 1865 veröffentlichte rabenschwarze Bildergeschichte „Max und Moritz“ nichts anhaben konnte. „Wie würde van Ahlen es schaffen, gleichzeitig den herrlichen Gruseleffekt dieser rabenschwarzen Zeichnungen verbal zu evozieren“, hatte sich Alice Hecker, eine der vielen leidenschaftlichen Anhänger(innen) des großen Spaßmachers Wilhelm Busch, vor Beginn gefragt.
Groß war die Vorfreude, als dieser seine Lesung mit „Kritik des Herzens“ vortrug, die erst nach Buschs Tod die Herzen seiner stetig wachsenden Leserschar zu berühren vermochte. Spießer hatten Buschs erste Gedichtsammlung in Buchform gleich nach der Erstveröffentlichung obszön, ja lasziv und daher völlig ungeeignet für den Weihnachtstisch befunden. Aus Enttäuschung darüber, dass diese keine einzige Zeichnung enthielt? Dass „Max und Moritz – eine Bubengeschichte in 7 Streichen“, ein Vorläufer des „Comic Strip“, nichts von ihrer Strahlkraft verloren hat, zeigte sich sofort. So, als hörten sie die Geschichte von Max und Moritz - Bürgerschreck im Doppelpack - zum ersten Mal, gluckste, kicherte und lachte es lauthals, rieselten kalte Schauer so manchen Rücken runter.
Wie in der Kindheit gruselte sich’s aufs Köstlichste, dank Michael van Ahlens Stimmgewalt, die nahezu spielerisch die gesamte Tonleiter des Busch-Bild- und Wortwitzes – mal blitzgescheit, heiter, bissig und sozialkritisch bis hin zur puren Schadenfreude rauf und runter jonglierte. Musikalische Übergänge vermittelte mit ihrer warmen Stimme Katerina Krey am Klavier, Musiklehrerin am Gymnasium Petrinum Recklinghausen, dem Publikum bekannt seit der Lesung „Satiren von Kurt Tucholsky“ im Oktober 2020.
Freuen Sie sich jetzt schon auf den 3. April 2022, 17 Uhr im Alten Rathaus. Dann entführt Michael van Ahlen Sie in William Shakespeares „Der Sommernachtstraum“, frei nacherzählt von Michael Köhlmeier.
E. Masthoff
6. Februar 2022
Michael van Ahlen liest einige Tolldreiste Geschichten von Honoré de Balzac.
© Ruhr Nachrichten, 9. Februar 2022
Anhaltender Applaus für sensible sprachliche Interpretation
An diesem Sonntag waren die „Tolldreisten Geschichten“ von Honoré de Balzac Thema der Lesung im Alten Rathaus.
Michael van Ahlen las drei aus seinen dreimal zehn an das „Decameron“ angelehnten Geschichten. Zuvor hatte dieser sich vergewissert, dass niemand im Publikum unter 18 ist. Für das Publikum so minimal wie unmerkbar gekürzt, startete Honoré de Balzac (Michael van Ahlen) in den Prolog mit „Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen, die vom Guten und Besten der Welt den Geschmack auf der Zunge haben ….“ Es folgte „Das Königsliebchen“. „Und die Moral von dieser Geschichte ist“, so van Ahlen, „Mann sollte sich nicht an die Röcke einer Frau hängen, die nichts von ihm wissen will!“
Nach der Pause ging’s weiter mit dem zweiten „Zehent“, nämlich „Der Vagabund von Rouen“ und „Kindermund“.
Anhaltender Applaus belohnte van Ahlen, dass er fulminant Balzacs Darstellung vom Wandel der Gesellschaft, in der man fast alles haben kann - Geld, Ruhm, Reputation, Fortuna - rübergebracht hatte. Auch den Spiegel, aus dem ihr die eigene Arroganz und Bigotterie entgegenblickt, präsentierte Balzac (van Ahlen) brillant. Das archaische Französisch, das Balzac bewusst einsetzte, um Komik in seine Erzählungen zu injizieren und befreiendes Lachen auszulösen, ging Dank van Ahlens sensibler stimmlicher Interpretation in der deutschen Übersetzung nicht verloren.
E. Masthoff
9. Januar 2022
Am vergangenen Sonntag waren die Gäste im Alten Rathaus von Mark Twains „Die Tagebücher von Adam und Eva“ begeistert.
© Ruhr Nachrichten, 13. Januar 2022
Literatur im Alten Rathaus ist ins fünfte Jahr gestartet
Am vergangenen Sonntag waren die Gäste im Alten Rathaus von Mark Twains „Die Tagebücher von Adam und Eva“ begeistert.
Voller Saal, Hochstimmung, auf fast jedem Sitzplatz ein „Wiederholungstäter“. Man kennt sich untereinander, plaudert entspannt, ist voller Erwartung. Die kleine exquisite Lesereihe von Michael van Ahlen erfreut sich nach wie vor ungebrochener Popularität. Adam (Michael van Ahlen) und Eva (Sabine van Ahlen) brillierten famos. Eine Paraderolle war das für Beide! Ein nicht enden wollender Applaus war die Belohnung.
Gleich zu Beginn entführte Britta Sonnemann auf dem Keyboard mit Griegs „Morgenerwachen“ in den Garten Eden. Welch ein zauberhaft narratives „Bühnenbild“. Ein Ohrenschmaus par excellence. Das turbulente, manchmal so gar nicht paradiesische Geschehen illustrierte Sonnemann aus modernen Musikfetzen, die sie miteinander verquickte und hier und da fetzige Boogie Woogie Rhythmen einfließen ließ.
Tja, das neue, langhaarige, redselige Wesen in Adams Leben, das ganz verrückt ist auf hübsche Dinge und unbändige Lust auf Äpfel hat, macht Adam ganz schön zu schaffen. Es läßt sich einfach nicht vertreiben! Gibt es denn kein Entkommen vor diesem seltsamen felllosen „Tier“? Er denkt darüber nach auszuwandern, klettert vorerst aber auf den nächsten Baum.
40 Jahre später schreibt Adam auf ihren Grabstein: „Wo immer sie war, da war Eden.“
1893 entstanden zunächst Adams Tagebücher. Evas Tagebücher schrieb Mark Twain (1835 – 1910) 1904, dem Jahr, in dem seine Frau Olivia starb.
E. Masthoff
5. Dezember 2021
Das Jahr 2021 der Vorlesereihe "Literatur im Rathaus" wurde am 5. Dezember mit E.T.A. Hoffmanns Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ würdig verabschiedet. Geschrieben hatte es der Preuße 1816 in Berlin, wo es auch veröffentlicht wurde.
© Stadtspiegel, 15. Dezember 2021
Jahresabschied mit Literatur
Die exquisite (Vor-)-Lesereihe „Literatur im Rathaus“ - literarische Texte, Prosa, Briefwechsel oder Lyrik bekannter oder weniger bekannter Autoren der Weltliteratur - feierte im Januar 2017 ihre Premiere. Sie mag zwar von ihrem ersten Domizil dem „Spieker“ ins Alte Rathaus umgezogen sein, doch erfreut sie sich ungebrochener, ja lebhaft wachsender Beliebtheit. Neben den Halterner „Wiederholungstätern“ zieht diese - dank der Beliebtheit des Vorlesers Michael van Ahlen und seiner Frau Sabine - auch Zuhörer beispielsweise aus Recklinghausen, Marl und Herten an.
Das Jahr 2021 wurde am 5. Dezember mit E.T.A. Hoffmanns Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ würdig verabschiedet. Geschrieben hatte es der Preuße 1816 in Berlin, wo es auch veröffentlicht wurde. Es ist die Geschichte, in welcher ein Nussknacker zum bestgeliebten Weihnachtspielzeug eines kleinen Mädchens namens Marie Stahlbaum erkoren wird und zum Leben erwacht. Nachdem dieser den bitterbösen Mausekönig besiegt hat, entführt er Marie in ein von Puppen regiertes Zauberreich. Was sich dort alles ereignet und ob die Geschichte einem Happy End zusteuert, das müssen Sie schon selbst nachlesen. Es gibt eine brillante Kette zauberhaft illustrierter Buchausgaben.
Wie es für Hoffmann typisch war, spricht in diesem Märchen der Vorleser Michael van Ahlen als Erzähler den Leser, sowohl den kindlichen, heranwachsenden oder erwachsenen („Sehr geehrter Leser“), direkt an. Mochte das Märchen in einem Gewand spielerisch leichter, durchaus kindlicher Fröhlichkeit daherkommen, das Publikum genoss die literarische, durchaus nicht banale Qualität der Geschichte, die so viel mehr ist als ein Märchen für Kinder. Man sagt, es sei das beliebteste Kindermärchen überhaupt. Es wurde vielfach adaptiert, transformiert und verfilmt von keinem geringeren als Walt Disney.
Und wenn am 9. Januar 2022, 17 Uhr Michael und Sabine van Ahlen das 5. Jahr ihrer Vorlesereihe mit „Das Tagebuch von Eva und Adam“ (Mark Twain) um 17 Uhr im Alten Rathaus begrüßen, dann hoffentlich wie üblich vor ausverkauftem Haus – der Geißel Corona zum Trotz.
E. Masthoff
7. November 2021
Hans Christian Andersen (1805-1875): „Sag bekomm ich Flügel auch im Leben?“ – Eine literarische Collage, zusammengestellt von Sabine van Ahlen und vortrefflich dargebracht von ihr und Michael van Ahlen am 7. November 2021 im Alten Rathaus.
© Stadtspiegel, 17. November 2021
Vorleserpaar macht Andersens Werke wieder lebendig
„Leben allein genügt nicht“, sagte der Schmetterling, „Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume muss man auch haben“ oder Zitate wie „Das wunderbarste Märchen ist das Leben selbst“, „Musik spricht dort, wo Worte fehlen“ und „Reisen ist Leben“ sind wie ein Schlüssel zu dem Leben und Werk von Hans Christian Andersen, Märchenschreiber und Dichter. Mit seinen 168 anfangs für Kinder, später für Erwachsene geschriebenen Märchen machte er sich unsterblich. Allerdings brauchte sein Über-Nacht-Erfolg etwas länger, jedenfalls in seiner Heimat Dänemark. Als treuherzig, unverhohlen, als rastlos Reisender und Hypochonder beschrieben ihn die Kritiker seiner Zeit. Es fehle seinen Schriften an dem moralischen Zeigefinger, an pädagogischer Unterweisung.
An diesem trüben November-Sonntag ließ ihn das bekannte Vorleserpaar Sabine und Michael van Ahlen wieder aufleben mit Hilfe von Schnipseln aus seiner Autobiographie, Stationen aus seinem Leben (etwa seine Zeit in Kopenhagen), vergessenen Erzählungen, Tagebucheintragungen, Rezensionen, Pressestimmen, der ein oder anderen Szene aus Märchen wie „Schneekönigin“, „Der Wassertropfen“, „Liebesleute“, „Die Prinzessin auf der Erbse“ und „Die kleine Seejungfrau“. Des Dichters Kindheit, das große Warten auf Anerkennung, seine von der schwedischen Nachtigall Jenny Lind unerwiderte romantische Liebe wie auch seine ebenfalls einseitige Freundschaft mit dem von ihm so bewunderten Edvard Collin, all das zeichnete das Vorleser-Duo mit ausdrucksstarken Wortbildern und lebhafter Gestik für das gebannt lauschende Publikum.
In seinem Kunstmärchen „Das hässlichen Entlein“ – mobbing gab es offensichtlich damals schon – akzeptiert Andersen seine lebenslange Rolle als Außenseiter. Sabine van Ahlen ließ ihre Stimme säuseln und surren, schnarren und schmeicheln, knarren und flüstern, dass es eine wahre Freude war. Und schon bald fühlte es sich an, als hätte Andersens als lemurenhaft beschriebene schlaksige Gestalt sich mitten unter das Publikum gemischt, in dem sich gerade das innere Kind zu regen begann. Ach würde er doch hier und jetzt noch einmal anheben, auf seine ureigene Weise seine Märchen zu erzählen und wie damals kein Ende finden, hoffte der eine oder andere.
E. Masthoff
3. Oktober 2021
Michael van Ahlen liest Gedichte und Prosa von Christian Morgenstern
© Stadtspiegel Haltern, 13. Oktober 2021
Mit Literatur im Alten Rathaus ins neue Jahrzehnt - KulturStiftung Masthoff feiert ihren 20. Geburtstag
Die KulturStiftung Masthoff, die am 24. September ihren 20. Geburtstag feierte, startete am 3. Oktober, 17 Uhr, mit Literatur im Alten Rathaus ins neue Jahrzehnt. Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen zählen die Worte, mit denen meine Mutter mich allabendlich in den Schlaf schickte: „…und die Rehlein falten ihre Zehlein und beten zur Nacht“. Sie haben es erraten, sie war ein begeisterter Fan der Poesie und Prosa von Christian Morgenstern. Ich ließ mich gern davon infizieren, auch später als Teenager, ganz besonders von seinen 200 Galgenliedern, welche die Geburt der deutschen Nonsens-Literatur einleiteten. Die ersten schrieb er bereits 1895. Sie wurden gern in weinseliger Runde, begleitet von Klaviermusik lauthals gesungen, was im Alten Rathaus des fehlenden Klaviers wegen, leider nicht möglich war.
Am Sonntag, den 3. Oktober, hatten sich dort, der Hochstimmung und dem begeisterten Zwischen- und Endapplaus nach zu urteilen, viele, ja überraschend viele bekennender Morgenstern-Fans versammelt, darunter auch ein Paar aus dem „fernen“ Dorsten. Es wurde schallend gelacht, verhalten gekichert, amüsiert gelächelt, vor Vergnügen gestrahlt und gegluckst, als Michael von Ahlen auf seine vertraut geniale Art und Weise mit Mimik und Gestik Morgensterns „Der Lattenzaun (mit Zwischenraum hindurchzuschaun) oder die „Versammlung der Nägel“ aufs Köstlichste vors Auge und zu Gehör brachte. Michael von Ahlen brachte nicht nur Kostproben aus den Galgenliedern (erschienen 1905), Palmström und Palman Kunkel (1910 bzw. 1916); auch eine Reihe anderer herrlich absurder Geschichten war mit von der Partie.
Das Erstaunliche ist, daß Morgenstern, dessen Leben von Krankheit überschattet war, sich zum oft kopierten, doch nie erreichten Wortschmied und brillanten Wortspieler des Skurrilen und Grotesken entwickelte. Und nicht nur das! Er war Schriftsteller, Dramatiker, Journalist und Übersetzer. Am 6. Mai 1871 in München (Schwabing) geboren und am 31. März 1914 in Untermais, Tirol, gestorben, hatte er zwar nie einen Krieg erlebt, dennoch schwingt eine Vorahnung des Ersten Weltkriegs in seinem Vers mit: „Singend gehn die Völker zu Bett, und singend gehen sie zum Frühstück – ein paar Jahre später gingen sie singend in den Tod“.
Überraschenderweise schloss van Ahlen seine fulminante Lesung nicht mit einer Zugabe aus der Feder von Christian Morgenstern. Den Namen der Autorin nannte er erst nach dem Applaus. „Hotel Villa d’Este“ ist eine von 18 Geschichten aus dem Buch „Der Inselgast – Vom Reisen“, die allesamt einem gewissen „H“ im Publikum gewidmet sind, der drei Tage später seinen 80. Geburtstag feiert.
Freuen Sie sich jetzt schon auf Sonntag, den 7. November 2021. Dann präsentiert Michael van Ahlen mit seiner Frau Sabine Hans Christian Andersen, eine literarische Collage mit dem beschwingten Titel „Sag, bekomme ich Flügel auch im Leben?
E. Masthoff
5. September 2021
Michael van Ahlen liest die phantasievollen, komischen und unglaublichen Abenteuergeschichten des „Lügenbarons“
1. November 2020
„Alfred Polgar - Das Grosse Lesebuch“
© Stadtspiegel Haltern, 18. November 2020
Michael van Ahlen bringt Polgars Geschichten zu Gehör
Am 1. November um 17 Uhr stellte der Vorleser Michael van Ahlen im Alten Rathaus unter dem Titel „Der Kongress tanzt“ den „feinsten und leisesten Schriftsteller unserer Generation“ vor, wie Kurt Tucholsky ihn nannte. Van Ahlen brachte ein Dutzend von Harry Rowohlt zusammengetragenen Geschichten aus „Alfred Polgar - Das Grosse Lesebuch“ einem kleinen, aber höchst interessierten Publikum zu Gehör. Polgars immense Themen- und Schaffensbandbreite wurde von van Ahlen im Zeitraffer sensibel angerissen. Wie etwa „Verantwortung“ (1919) und ihre fatalen Konsequenzen für den kleinen Mann oder „Beethoven-Maske“ (1921) und ihr multipler dekorativer Einsatz. In “Tischnachbarin“ (1935-1937) erinnert sich Polgar an die berühmten ersten Worte seiner Tischnachbarin: „Komisch! Ich habe fest geglaubt, Sie sind schon tot.“ Und er kommt zu dem Schluss, dass da doch gleich ein gemütlicher Ton angeschlagen und das Gespräch gut in Schwung gebracht wurde. Ein Hit beim Publikum war auch „Lotte bei den Löwen“, die Story von dem überfeinen Mädchen, das sich bereits im zarten Alter den Löwen zugehörig fühlt und beim Anblick von dem Bild „Christenverfolgung unter Nero“, auf dem ein allein kauernder Löwe zu sehen war, unter Tränen ausrief: „Ach Papa, der arme Löwe da hat keinen Christen!“
„Zusammenstellen“, hatte Harry Rowohlt eingeräumt, „bedeutet Auswählen und Auswählen bedeutet, dass einem etwas weniger gut gefällt als anderes, und mein Freund Alfred hat den Nachteil, nie einen Durchhänger geschrieben zu haben.“
Man hätte an diesem Sonntag eine Stecknadel fallen hören können, so gebannt waren die Ohren gespitzt für die subtilen Pointen, die brillant geschliffenen, eleganten Redewendungen und blitzgescheiten Überraschungsmomente des „Großen der kleinen Form“. Das Publikum, dem aus der vorausgegangenen Lesung Tucholskys hier und da wie eine Keule anmutende spitze Feder noch lebhaft in Erinnerung gebliebenen war, traf an diesem Sonntag auf die Samthandschuh tragende Tatze des „Löwen“ Alfred Polgar: Feuilletonist, Theaterkritiker, Bühnenautor und Verfasser hintergründiger, doppelbödiger Erzählungen, Satire, Glossen und Skizzen.
Und sollte Polgar demnächst in die Regale der Buchhandlungen zurückkehren, dann wäre dies für Michael van Ahlen die schönste Nebenwirkung seiner Lesung, in der er dessen facettenreiches Werk zum Leuchten brachte, um es dem Vergessen zu entreißen. Eva Masthoff
Hoffentlich bleibt es bei: Auf Wiederhören am 6. Dezember im Alten Rathaus! Dann steht „Nussknacker und Mausekönig“ von E.T.A. Hoffmann auf dem Programm.
E. Masthoff
4. Oktober 2020
Michael van Ahlen liest Kurt Tucholsky
© Stadtspiegel Haltern, 08. Oktober 2020
Michael van Ahlen liest Kurt Tucholsky
Haltern. Die 32. von der KulturStiftung Masthoff veranstaltete Lesung fand am 4. Oktober um 17 Uhr im Alten Rathaus statt. Geschickt hatte Michael van Ahlen Texte ausgewählt, welche die Virtuosität Tucholskys beweisen und typisch sind für seine frühen satirischen Werke, nämlich Glossen und Grotesken.
Leichtfüßig und bewaffnet mit spitzer Feder sinniert er, wie wohl der Erfinder des Reißverschlusses aussehen mag, und -passend zur allgemeinen gesundheitlichen Lage – schlägt er diverse Rezepte vor, die Influenza wirksam, wenn auch unorthodox bekämpfen. Fragen wie „Was darf die Satire?“ oder „Sind Frauen eitel? Männer nie!“ wurden beantwortet. Allein die Antwort auf die unschuldige, wenn auch folgenschwere Frage eines kleinen Jungen, nämlich „Wo kommen die Löcher im Käse her?“ bleibt Tucholsky (alias Michael van Ahlen) schuldig, mimik- und gestenreich!
Nach langer, langer Corona-Pause gab es nach der ersten Lesung in der Krise tosenden Applaus für Michael van Ahlen und seine Mitstreiter Katerina Krey am Piano und Sven Krey am Saxophon und an der Klarinette, die mit fetziger Musik, u.a. „Wochenend und Sonnenschein“, „Mein kleiner grüner Kaktus“ und „Mackie Messer“ in die Welt eines der namhaftesten Publizisten der Weimarer Republik entführten und das Publikum hellauf begeisterten. So manch einer beschloss danach, Tucholsky, den literarischen Hausgott seiner Jugend, einen der großartigsten Wortschmiede des 20. Jahrhunderts, neu für sich zu entdecken, besitzen seine Texte doch noch immer, ja gerade heute frappierende Gültigkeit! Er schrieb „Rheinsberg“ und „Schloss Gripsholm“, ferner Essays und Gedichte, Texte für Lieder und fürs Kabarett. Als zeitkritischer Journalist engagierte er sich politisch und nahm die Gesellschaft aufs Korn, wobei der sich der Pseudonyme Ignaz Wrobel, Theobald Tiger, Peter Panter sowie Kaspar Hauser bediente. Seine mahnende, warnende Stimme, die 1935 durch seinen Freitod nach zwei gescheiterten Ehen, zahlreichen Liebschaften und der Vorahnung der Katastrophe, in die sein Land driftete, für immer verstummte, will auch in unserer Zeit gehört und erhört werden.
E.M.
1. März 2020
Candide von Francois von Marie Arouet, besser bekannt als Voltaire
© Stadtspiegel Haltern, 3. März 2020
Voltaire zu Gast im Spieker
Haltern. Genau 10 Jahre ist es her, dass Voltaire zu Gast in Haltern war, nämlich anlässlich des bedeutenden Frühlingsfests des Buches „LiteraturRE. Den Schwerpunkt legte Haltern damals auf renommierte Gäste wie Herbert Rosendorfer und Peter Schütze und ganz im Vordergrund Voltaire und seine philosophische Erzählung „Candide“. Als Proviant für die (literarische) Reise des Francois Marie Arouet, genannt Voltaire, gab es u.a. eine Ausstellung in der Stadtbücherei, eine kulinarische Hommage an Voltaire in den Ratsstuben.
Am 1. März, also 10 Jahre später, kehrte Voltaire auf Einladung des Vorlesers Michael van Ahlen nach Haltern zurück, bewusst mit dem Weltbestseller Candide, hatte doch seine 1740 stattgefundene Reise an den Hof Friedrich des Großen auch Folgen für die Literatur. Voltaire hatte darin sowohl auf der Reise Erlebtes als auch hahnebüchene, imaginierte Abenteuer in fernen Ländern in den Roman eingebaut und ganz nebenbei damit vor allem im Ausland das Bild Westfalens, jenes Landes, das er nur widerwillig durchquerte, geprägt.
Michael van Ahlen, musikalisch begleitet von der Violinistin Katharina Fabri, evozierte mit seiner unverwechselbaren Stimme Bilder einer abenteuerreichen Reise, die für den treuherzigen Candide nur ein Ziel hatte: die Wiedervereinigung mit seiner angebeteten Kunigunde“, „Beste aller Frauen“, nach einer riskanten, bizarren und oft schmerzhaften Odyssee, deren Ursache ein unschuldiger Kuss gewesen war und dessen Wirkung auf oder vielmehr mit einem Fuß(tritt) folgte, der ihn aus seinem westfälischen Arkadien verjagt und in die reale Welt (des ganz normalen Wahnsinns) katapultiert hatte. Ob Candide und Kunigunde sich am Ende doch noch kriegen, „das“, so van Ahlen“, müssen Sie, verehrtes Publikum, selbst nachlesen.
Horstfried Masthoff bedankte sich im Namen seiner Kulturstiftung bei Michael van Ahlen: Auch heute würden wir zu gern wie Candide an die „Beste aller Welten“ unerschütterlich glauben, wäre die heutige Zeit nicht mit ähnlich gefährlichen Stolpersteinen gepflastert.“ Aus diesem Grunde empfehle er Candides Aufruf am Ende des Romans zu beherzigen, nämlich „Il faut cultiver notre jardin“ („Wir müssen unseren Garten bestellen“), dessen Aktualität und Gültigkeit ungebrochen sei. Seine schlichte Weisheit sei eine wirksame Anweisung zum Glücklichsein.
2. Februar 2020
Der Humor ist der Knopf, der verhindert, daß uns der Kragen platzt - Joachim RINGELNATZ & Günter NEHM
5. Januar 2020
Mein einzig geliebtes Herz - Emilie und Theodor FONTANE - Ausgewählte Briefe
1. Dezember 2019
Der Weihnachtsabend - CHARLES DICKENS
© Stadtspiegel Haltern, 13. Dezember 2019
Lesung berührt und begeistert
Haltern. Welch eine zauberhafte und verzaubernde Einstimmung auf den wahren Geist von Weihnachten! Erstaunlicherweise befand sich dieses Mal viel Jugend unter den gebannt Zuhörenden.
Das Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Spieker war berührt und begeistert, trug doch Michael van Ahlen mit Bravour den ewig jungen Klassiker von dem grantigen Geizhals und Weihnachtsverweigerer Ebenezer Scrooge vor, der an Heiligabend, am Ende von Geistern geläutert, den Kindern seines Neffen Geschenke bringt, allerlei Gutes tut und seine Einsamkeit besiegt. „Der Weihnachtsabend“ - „A Christmas Carol“- aus der Feder von Charles Dickens (1812 – 1870), die wahrscheinlich berühmteste Weihnachtsgeschichte der Welt, wurde sowohl während der einzelnen Kapitel als auch als Zwischenmusik stimmungsvoll untermalt von Ute Kloyer (Violine) und Gerhard Kloyer (Gitarre und Arrangement) mit traditionellen Weihnachtsliedern wie „Hark! The Herald Angels Sing“ und „God rest ye merry gentlemen“ sowie Musik u.a. von Johann Sebastian Bach, Henry Purcell, John Dowland und Angelo Corelli. Welch ein Ohrenschmaus! Weihnachten kann kommen!
Dem Publikum wurde frohe und gesegnete Weihnacht gewünscht und ein gutes neues Jahr bei bester Gesundheit. Auf Wiederhören am Sonntag, 5. Januar 2020 um 17 Uhr. Dann steht „Mein einzig geliebtes Herz – Emilie und Theodor Fontane – Ausgewählte Briefe“ auf dem Programm, eine Lesung mit Susanne und Michael van Ahlen.
3. November 2019
Seltsames geschieht! - Märchen(?) von TH. TH. HEINE
© Stadtspiegel Haltern, 6. November 2019
Michael van Ahlen liest Th. Th. Heine
Haltern. Wie, Th. Th. Heine (1867-1948), deutsch-schwedischer Karikaturist, Maler, Illustrator sowie Schriftsteller („Ich warte auf Wunder“) war für Sie bislang eine unbekannte Größe? Sie wussten auch nicht, dass Heine Mitbegründer der satirischen Zeitschrift Simplicissimus war und bis 1933 einer ihrer führenden Mitarbeiter? Dann konnte Vorleser Michael van Ahlen am Sonntag in bewährt brillanter Manier Abhilfe schaffen, sowohl mimisch als auch gestisch. Er schöpfte aus dem Vollen, nämlich aus „Die Märchen von Th. Th. Heine, in denen „Seltsames geschieht“ – und lag damit ganz am Puls unserer Zeit. Gesammelt erschienen diese erstmals 1946 in Stockholm.
Mit „Der Rembrandt“ und „Der Schwan“ etwa, „Der Teufel im Warenhaus“ oder „Der geruchlose König“ erweckte Michael van Ahlen Th. Th. Heines geschriebenen „Karikaturen“ wortwörtlich märchenhaft wieder zum Leben, indem er der Obrigkeit und den Bürokraten den Spiegel ihrer Arroganz vorhält – mit spitzer Feder, einer großen Prise Sarkasmus, blitzgescheitem Witz und beißender Ironie. Das Publikum amüsierte sich köstlich, als beispielsweise in „Das Märchen von der Planwirtschaft“ Regierungsrat Gerhart Fleissner, Direktor des statistischen Landesamts, Lucifer Vorschläge zur Organisation der Hölle schmackhaft machen will und dieser schallend lachend kontert: „Organisation, das ist ja die Hölle“. Nachdenklich stimmte das Ende von „Der Rembrandt“ sowie „Biwolins Bombe“. Und jedes Mal gelang es van Ahlens sonorer Stimme, in den Köpfen des Publikums an Karikaturen anklingende Bilder zu evozieren.
Wer auf den Illustrator Th. Th. Heine neugierig ist, schlage Friedrich Hebbels „Judith“ auf, erschienen im Hans von Weber Verlag 1908, und erfreue sich an den geschwungenen, eleganten Linien seines exquisiten Buchschmucks , den zauberhaften Vignetten. Heines künstlerische Handschrift erinnert stark an den Stil seines englischen Zeitgenossen Aubrey Beardsley.
6. Oktober 2019
EDWARD LEARS (fast) kompletter Nonsens
© Stadtspiegel Haltern, 11. Oktober 2019
Limerick-Fans kamen voll auf ihre Kosten
Haltern. Der alte Spieker staunte nicht schlecht. Edward Lear (alias Michael van Ahlen), der kauzige Limerick-Versschmied, hatte dort seinen großen Auftritt. In Begleitung einer typisch englischen Miss (alias Sabine van Ahlen) tauchte er vor seinem Publikum auf, so gestreift, so bunt und schräg gewandet wie seine absurden gereimten Ungereimtheiten, Verse, Gedichte und Geschichten.
Erwähnt sei hier “Die Eule und die Miezekatze“ etwa, „Die Geschichte der Sieben Familien vom Pippel- Poppel-See“ oder „Zwei alte Junggesellen“ sowie zwei skurrile Rezepte (mich schaudert’s bei der Erwähnung „Gargle Pastetchen“). Im Gepäck hatte er gleich zwei Publikationen: der von ihm selbst illustrierte „Edward Lears kompletter Nonsens“, brillant ins Deutsche geschmuggelt von Hans Magnus Enzensberger und erschienen 1980 im Insel Verlag, Leipzig, sowie „Wie nett, Herrn Lear zu kennen“, Deutsch von Grete Fischer, Heimeran, München 1965. Zeitbedingt konnte lediglich sein f a s t kompletter Nonsens zu Gehör gebracht werden. Dabei hatte Lear auch Balladen und Lieder geschrieben. Übrigens, wussten Sie, dass er zudem ein großartiger Maler, Schriftsteller Illustrator und Zeichner war, der 1846 der jungen Queen Victoria Zeichenunterricht erteilte?
Limerick-Fans kamen voll auf ihre Kosten. Es wurde gekichert, geschmunzelt, lauthals gelacht, obwohl Lear’s sehr britischer, sehr schräger Humor das deutsche Publikum zunächst verblüffte, aber dann hörbar amüsierte. Spannend war es, Vergleiche zu ziehen zwischen den von der Miss in astreinem Englisch mit „upper class accent“ vorgetragenen Limericks und den auf dem Fuße folgenden klangvollen Übersetzungen aus der Feder von Theo Stemmler und Enzensberger.
Zwei begeisterte Reaktionen aus dem Publikum:
Hätte Edward Lear seinem deutschen Limerick-Kollegen Hasso Freundt begegnen können, hätten ihm dessen Fünfzeiler „geschmeckt“. . Wie es sich gehört, hatten sie immer einen Ort als Reimwort.
Ein Limerick-Fan, einst auf Irland-Fahrt, hatte auf dem Hotelkissen keinen Schlaf finden können. Als er spontan eigene Verse habe schmieden wollen, seien sie geradezu leichtfüßig auf sein Kopfkissen getänzelt. Sollte es Sie nach Sanremo ziehen, besuchen Sie doch Edward Lear’s Grab auf dem Cimitero Monumentale della Foce. Auf Wiederhören am 3. November.
1. September 2019
Die Nase - NIKOLAI GOGOL
© Stadtspiegel Haltern, 3. September 2019
"Die Nase" war was für die Ohren
Michael van Ahlen liest im Spieker die Meisternovelle
Haltern. Während nur einen Steinwurf entfernt das Heimatfest tobte, versammelten sich im „Spieker“ Fans der kuriosen Mischung aus Alltag, Surrealem, Groteskem und Absurdem, genial dargebracht wie immer von Michael van Ahlen. Die Rede ist von Gogols satirischer Meisternovelle „Die Nase“, verfasst während seiner Zeit in St. Petersburg zwischen 1835 und 1936, die 100 Jahre später Dmitri Schostakowitsch in seiner ersten Oper vertonte.
Leider fiel diese 1930 prompt nach der Uraufführung der stalinistischen Zensur zum Opfer. Jemand hatte wohl den richtigen Riecher für Gogols gesellschaftskritische Story gehabt, dabei hatte er doch am Ende der Geschichte bewusst offengelassen, ob es sich bei „Die Nase“ um totale Unsinnigkeiten oder lediglich um einen Traum handelt. Meisterhaft hatte er den Hunger nach gesellschaftlichem Status demaskiert, der Russland plagte, nachdem Peter der Große die Rangtabelle eingeführt hatte.
Wie der aus Omsk stammende Jakob Eihof mit virtuosen russischen Kabinettstücken auf seiner dreiseitigen Domra die skurrile Geschichte untermalte, das war schon „große Oper“. Die Fülle ihrer Klangfarben, aus der sich die Balaleika entwickelt hatte, faszinierte das Publikum, sog es mitten in die Geschichte hinein. Michael van Ahlen zog in seiner Gestik und Mimik wieder einmal alle Register, um die Protagonisten zum Leben zu wecken: den Barbier Iwan Jakowlewitsch, der beim Frühstück im frisch gebackenem Brot seiner Ehefrau die Nase seines nach Status gierenden Kunden Kowaljow, seines Zeichens Kollegien-Assessor, findet und diese aus Angst, eines Verbrechens angeklagt zu werden, in die Newa wirft. Köstlich auch wie van Ahlen beschreibt, wie frappiert der nasenlose Kowaljow ist, als er seinem entfleuchten Riechorgan in der Uniform eines Staatsrates begegnet, der er selbst nur zu gern wäre. Ob die Nase, die sich inzwischen in ihrem neuen Leben pudelwohl fühlt, jemals ihren alten Platz zwischen den Wangen ihres statusbewussten Eigners wieder einnehmen wird, hätten sie erfahren, wären Sie am Sonntag im Spieker dabei gewesen. Am Ende der Novelle ließ sich trefflich spekulieren über Sinn und Unsinn sowie clever getarnte Zeit- und Gesellschaftskritik.
Am 6. Oktober um 17 Uhr gibt’s von Michael van Ahlen erlesenen Nonsense auf die Ohren, nämlich Edward Lears (fast) kompletten Nonsense: Limericks vom Feinsten. Einige davon liest Sabine van Ahlen im Original (mit anschließender Übersetzung).
7. April 2019
Der Ersatzmann oder Ein Pariser Abenteuer - GUY de MAUPASSANT
© Stadtspiegel Haltern, 13. April 2019
Vorleser Michael van Ahlen servierte fünf Kabinettstücke der Erzählkunst
Haltern. Den großen Meister der kleinen Form, nämlich Guy de Maupassant (1850-1893), legte der Vorleser Michael van Ahlen seinem Publikum ans Herz. Der Protégé von Flaubert, der als einer der Väter der modernen Kurzgeschichte gilt, besticht noch heute mit seiner klaren Sprache, realistischen Darstellung menschlicher Leidenschaften sowie der Vielschichtigkeit der von ihm erforschten Figuren und Schicksale.
Es ist die dunkle Seite menschlicher Beziehungen, die er, ohne zu werten, beleuchtet: Habsucht, Neid und Triebhaftigkeit. Der bedeutende Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, weltläufige Journalist, Novellist und Romancier starb früh, zu früh - in geistiger Umnachtung. Ich bin in das literarische Leben eingetreten wie ein Meteor und mein Ausgang wird sein wie ein Donnerschlag, hatte er einmal gesagt. Innerhalb von nur 10 Schaffensjahren schrieb er sechs kurze Romane wie etwa „Bel Ami“, „Ein Leben“ oder „Das Fettklößchen“. Seine 300 Novellen hätten allerdings den Zeitrahmen dieser Lesung gesprengt“, scherzte van Ahlen und hatte sich nach der Qual der Wahl für fünf Kabinettstücke der Erzählkunst entschieden: Das Fäßchen (es geht wie so oft im Leben um Gier) , Eine Million (eine Schwanknovelle, die sich um eine Dreierbeziehung dreht), Im Wald (der rührende Versuch eines nicht mehr jungen Paars, in der freien Natur das Feuer seiner eingenickten Leidenschaft neu zu entfachen), Ein Pariser Abenteuer (pure Neugier zieht eine Frau aus der Provinz für ein paar Tage nach Paris, um die Begegnung mit dem Laster zu suchen)sowie Der Ersatzmann (Wie eine vermeintlich ehrbare alte Witwe zunächst mit einem Soldaten und später mit einem zweiten – dem Ersatzmann - ihre Einsamkeit doppelt lindert – an unterschiedlichen Tagen, versteht sich). Allesamt Geschichten, die ein getreues Spiegelbild der Gesellschaft aus der Zeit Maupassants sind. Er zeichnet Milieus, die bevölkert werden von Figuren so unterschiedlich wie Mitglieder der feinen Pariser Gesellschaft oder Kleinbürge, Schankwirte, Bauern, Beamte, Soldaten, Kurtisanen und Geistliche. Der anhaltende Beifall des Publikums zeigte, dass Maupassants Novellen so jung, so aktuell sind wie eh und je. Dem brillanten Vorleser sei Dank!
Im September wird die Lesung im Spieker fortgeführt. Dann gibt’s Nikolai Gogols „Die Nase“ auf die Ohren mit Michael van Ahlen und Jakob Eihof, Domra.
3. März 2019
Die Bratwurst und das Wiesel - Märchen aus dem (alten) Venedig
© Stadtspiegel Haltern, 13. März 2019
Lesung im Spieker verzauberte Zuhörer
Haltern. Durch die Jahrhunderte war Venedig, schillernde Stadt in der Lagune, fruchtbarer Boden für Myriaden von Volksmärchen und Legenden. Diese wurden vermutlich über einem Teller Pasta und reichlich Landwein in geselliger Runde weitergereicht wie ein köstliches Gericht.
Der bekannte Märchensammler Domenico Giuseppe Bernoni (1828-1877), von dem wir nicht mehr wissen als seinen Namen, hat sie glücklicherweise niedergeschrieben, weshalb Michael Van Ahlen seine Zuhörer mit ausgesucht spannenden, urkomischen, erotischen, manchmal recht drallen, derben Geschichten glänzend unterhalten konnte: „Die Hexen von Fondamento Nuevo“ etwa, „Die Bratwurst und das Wiesel“, „Die falsche Braut“ oder „Der halbe Fischer“.
Märchen so bunt wie die Bänder der Gondoliere, so schillernd und geheimnisvoll wie die mit Federn, Strass oder Spitze garnierten venezianischen Masken, die dem Spieker an diesem mausgrauen Karnevalssonntag etwas vom Charme eines „Carnevale di Venezia“ verliehen. Klar, dass auch „Eine Karnevalsgeschichte“ im Programm auftauchte. Prinzen und Prinzessinnen, Hexen und Feen, Kaufherren und sogar eine listige Gans bevölkern als Protagonisten das manchmal denkwürdige, bizarre Geschehen, doch die Hauptrolle spielt natürlich die Liebe, die immer siegt. Mit ihrer Blockflöte stimmte Andrea Möller das Publikum haargenau auf den Tenor jeder Geschichte ein, mit Kompositionen von Robert Clérisse, Jacob. van Eyck (1590-1657), Jean-Baptiste Loeillat (1688-1730), Georg PhilipTelemann (1681-1767), Louis de Caix d’Hervelois (1680-1759) und Johann Sebastian Bach (1685-1759). Mit „Piccolo“, einem irischen Stück, verabschiedete sie sich vom Publikum.
Am Sonntag, den 7. April gibt’s ein Wiederhören mit Michael Van Ahlen. Lassen Sie sich vorlesen: „Der Ersatzmann oder Ein Pariser Abenteuer“ aus der Feder eines der bedeutendsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts: Guy de Maupassant.
(E.M.)
3. Februar 2019
Wenn Frauen sich verheben und Männer zu viele Schuhe kaufen
© Stadtspiegel Haltern, 13. Februar 2019
Wann wird ein Klischee zum Klischee?
Wenn Frauen sich verheben und Männer zu viele Schuhe kaufen - mit diesem wahnwitzigen Titel hatte am 3. Februar das Ehepaar-Gespann Michael und Sabine van Ahlen nicht nur ihr treues Stammpublikum zur Lesung in den Spieker gelockt. Bis auf den letzten Platz war er besetzt!
Alte und neue Geschichten zum ewig jungen Thema „Frauen und Männer passen zusammen oder nicht oder umgekehrt“ brachte das eingespielte Duo amüsant und auf literarisch hohem Niveau zu Gehör. Versiert zückte es seine Wortwitz-, Mimik- und Gestik-Waffe, wobei es sich den Gag erlaubte, den Herrn die Damengeschichten und die Dame die Herrengeschichten vortragen zu lassen. Beide bedienten genüsslich all die vielen gängigen Klischees, boten vergnügliche Geschichten aus dem realen (Ehe)Leben köstlich überzeichnend dar, Schlüsselerlebnisse eben, wie sie jeder kennt. Apropos Schlüssel: Aus welcher Feder stammt doch noch „Den Unterschied zwischen Mann und Frau sieht man durchs Schlüsselloch genau“?
Man hörte, wie „Frau“ die Zeit für statt gegen sich arbeiten lassen kann, welche Auswirkung ein Besuch in der Beauty World für „Mann“ haben kann. Ferner ging es um Tupper Partys und wichtige Tipps, wie man es besser nicht anstellt, wenn man seine Frau wirksam loswerden will, um mit der Sekretärin durchzubrennen. Welch verheerende Wirkung eine Generalprobe auf den Besuch der Schwiegermutter haben kann, auch diese Situation wurde zum augenzwinkernden Vergnügen. Die Frage, ob nun Männer und Frauen nun zusammenpassen oder nicht, musste jeder an diesem Nachmittag für sich selbst beantworten. Der Veranstalter jedenfalls bewegt nach eigener Aussage diese Frage auch weiterhin in seinem Herzen.
Auf ein Wiederhören mit Michael van Ahlen, dieses Mal in Begleitung von Andrea Möller und Blockflöte können Sie sich am 3. März freuen. Dann nämlich gibt’s Märchen aus dem alten Venedig „auf die Ohren“. Auf dem Literatur-Menü steht „Die Bratwurst und das Wiesel“.
(E.M.)
6. Januar 2019
Ein knickriger Freier - O. HENRY
© Stadtspiegel Haltern, 9. Januar 2019
Leichtfüßige Wortspiele erfreuen das Publikum
Neujahrslesung im Spieker - Am 3. Februar gibt es im Spieker ein Wiederhören
Haltern. In der ersten Lesung des neuen Jahres amüsierte und begeisterte Michael van Ahlen sein Stammpublikum mit einem halben Dutzend Kurzgeschichten aus der Feder des Schriftstellers O. Henry, alias William Sydney Porter (1862-1910), Vater der amerikanischen Short Story und Amerikas Antwort auf Guy de Maupassant.
Die dritte Geschichte „Ein knickriger Freier“ (A Lickpenny Lover) zählt zweifellos zu den besten unter seinen mehr als 250 in Manhattan verfassten Kurzgeschichten und überraschte am Ende mit einer unerwarteten Wendung. Das Publikum genoss sichtlich hörbar O. Henrys atmosphärisch dichte Sprache, seine zahlreichen Metaphern und Anspielungen, leichtfüßigen Wortspiele und sprühenden Witz, u.a. in: „Liebesgeschichte eines vielbeschäftigten Börsenmarklers, „Tildys kurzes Debut“ sowie „Der Liebestrank des Ikey Schoenstein“. In seiner Begrüßung berichtete der Veranstalter Horstfried Masthoff, dass O. Henry erst während seiner Gefängnisjahre – er verbüßte lediglich drei der ihm aufgebrummten fünf Jahre - ans Schreiben und die Trunksucht gekommen sei. Nach einer harten, hoffnungsarmen Jugend hatte er reich geheiratet und eine Anstellung bei der First National Bank in Austin, Texas, bekommen, wo man 1894 entdeckte, dass er 5557,02 Dollar unterschlagen hatte. In die Freiheit entlassen, sei er in Manhattan untergetaucht und habe in billigen Hotels oder möblierten Zimmern, stets nur einen Steinwurf von einer Kneipe entfernt seine Geschichten zu Papier gebracht, die Leser weltweit auch heute noch das Milieu der Elendsviertel New Yorks hören, „schmecken“ und fühlen lassen. Der Alkohol, insbesondere Whisky, das „Wasser des Lebens“, wurde ihm zum Verhängnis. Er starb hoch verschuldet im Alter von 48 Jahren in New York.
Auf ein Wiederhören am 3. Februar! Lassen Sie sich Was vorlesen: „Wenn Frauen sich verheben und Männer zu viele Schuhe kaufen“.
(E.M.)
2. Dezember 2018
Der Zauberer oder Das Wunder von Striegeldorf - HUGH WALPOLE und SIEGFRIED LENZ
© Stadtspiegel Haltern, 12. Dezember 2018
Weihnachtslesung im Spieker am 2. Dezember 2018
In die wundersame Weihnachtswelt zweier ganz unterschiedlicher Schriftsteller, nämlich des Briten Sir Hugh Walpole (1884-1941) sowie des Deutschen Siegfried Lenz (1926-2014) wurde ein gebannt lauschendes Publikum wahrhaft meisterlich ver- und entführt von dem Vorleser Michael van Ahlen, assistiert von dem jungen Gitarristen Julian Hugo. Van Ahlen verriet, dass Julian bei seinem ersten Auftritt mit ihm Schüler der 5. Klasse war. Mittlerweile sei dieser Student der Professorin Dale Kavanagh, bestens bekannt durch die Sythener Gitarrentage. Mit atmosphärisch dichter Musik von Telemann etwa oder Villa-Lobos untermalte und umspielte er, Bilder evozierend, Szenen aus den Erzählungen.
Die berührende, 1938 erstmals veröffentlichte Erzählung „Der Zauberkünstler“ aus der Feder des in Deutschland nahezu unbekannten Sir Hugh Walpole schildert den schmerzhaften (eigenen?) Übergang von der Kindheit des scheuen, viel gehänselten und ausgegrenzten 13-jährigen Humphrey zum Erwachsenwerden, ausgerechnet auf einer hoch noblen Weihnachtsfeier. Dort nämlich macht ihn der als Zauberkünstler verkleidete alte Mr. Claribel zum strahlenden Mittelpunkt und befreit ihn wie mit einem „magic wand“ – Zauberstab – von seinem Minderwertigkeitskomplex. Und dank Mr. Claribel weiß er nun um das Geheimnis eines glücklichen Lebens: „Niemals überrascht sein. Es hat keinen Zweck überrascht zu sein, weil Es sich einen Deut darum kümmert. Es kümmert sich nicht um Deine Gefühle.“
Auch die zweite Geschichte, „Das Wunder von Striegeldorf“, brachte Van Ahlen mit beredten Gebärden, ausdruckstarker Mimik und mit Augenzwinkern zu Gehör. Eine echte Schmunzel-Geschichte, worin sich ein Besenbinder namens Heinrich Matuschitz und Otto Mulz, ein verknorzter Forstgehilfe, an Weihnachten in einem kleinen Dorf in Masuren mit genialer List und eigenen Händen ein Wunder formen. Auf ein Wiederhören am 6. Januar2019, wie immer im Spieker! Dann erwartet Sie „Ein knickriger Freier“ – von O.Henry.
(E.M.)
4. November 2018
"Das Dekameron“ - GIOVANNI BOCCACCIO
© Stadtspiegel Haltern, 21. November 2018
"Publikumsfavorit war „Die Falken-Novelle"
Das Dekameron von Giovanni Boccaccio (1313-1375), eine Sammlung von 100 Novellen, war es, das den moderne Erzählstil in der europäischen Literatur einläutete. Der Vorleser Michael von Ahlen bediente sich beim Veranstaltungsreigen „Literatur im Spieker“ der klassischen Version, übersetzt von Ruth Macchi. Gekonnt brachte van Ahlen die Essenz dieses zeitlosen „Zehn-Tage-Werks“ Boccaccios, das sich zwar an alten Vorbildern - antiken Quellen, französischen Legenden des Mittelalters und italienischer Erzähltradition - orientierte, jedoch von Boccaccio nicht einfach nacherzählt, sondern brillant umgestaltet wurde, einem gebannt lauschenden Publikum näher. Mit eleganter, beschwörend melodischer Sprache und seiner großen stimmlichen Bandbreite lockte er die Zuhörer auf eine Zeitreise, ließ sie erwachen in der arkadischen Idylle eines Landhauses in der Toskana, wo sieben Frauen und drei Männer, die dem Chaos des „Schwarzen Todes“ in Florenz entflohen sind, sich die Zeit vertreiben, indem jeder der Zehn sich zehn Tage lang mit jeweils einer Geschichte - mal heiter, mal spannungsgeladen oder tragisch - zu Wort meldet. Für die damalige Zeit waren das recht erotische, ziemlich frivole Geschichten von enorm atmosphärischer Dichte. Die acht von Michael van Ahlen trefflich ausgewählten und als Hörgenuss meisterhaft dargebrachten Geschichten irdischer Liebe, Intrige und Bigotterie nahmen sowohl das Stammpublikum als auch Newcomer auf eine vergnügliche Wanderung durch Boccaccios Liebesgarten. Publikumsfavorit war „Die Falken-Novelle“, zweifellos eine der schönsten Liebesgeschichten der Welt, als neunte Geschichte des fünften Tages nachlesbar. Es lohnt sich! Der Spieker war wieder einmal bis auf den letzten Platz besetzt. Auf ein baldiges Wiederhören!
(E.M.)
7. Oktober 2018
"Die Souveräne Leserin“ - ALLEN BENNETT
© Stadtspiegel, 17. Oktober 2018
"Die Souveräne Leserin“
Im Rahmen der Reihe „Literatur im Spieker“ lasen Michael und Sabine van Ahlen die Novelle des englischen Schriftstellers, Dramatikers, Regisseurs und Schauspielers Alan Bennett „Die Souveräne Leserin“. Manche Bücher - dazu zählt unbedingt Alan Bennetts „Die Souveräne Leserin“ – nimmt man immer wieder in die Hand. Lässt man sich jedoch dieses Meisterwerk an komischer Kürze, dieses funkelnde Juwel von Hochkarätern wie Michael und Sabine van Ahlen vorlesen, fühlt man sich doppelt beschenkt.
Am Sonntag freute sich die Queen königlich über ihren Besuch im bis auf den letzten Platz besetzten Spieker. Sabine van Ahlen hatte darauf verzichtet, die piepsige Stimme der Queen nachzuahmen. Sie las normal aber durchaus royal. Als Queen zeigte sie sich höchst „amused“ über Union Jacks, royale Mugs und den Bobbyhelm, mit dem später die Pause eingeläutet wurde. Michael van Ahlen brillierte als Bibliothekar Hutchings, Küchenjunge Norman, Herzog von Edinburgh, Sir Kevin und Sir Claude. Im Umfang des Textes haben sie zwar nicht viel zu sagen, doch gab er jedem eine eigene Stimme.
Zum Inhalt! Die königlichen Kläffer, die Corgis, waren an allem schuld, waren sie doch einfach losgerannt und hatten vor dem allwöchentlichen Bücherbus der City of Westminster mächtig Radau gemacht. Und da die Queen tadellose – impeccable – Manieren hat, entschuldigt sie sich artig und leiht sich aus Höflichkeit ein Buch aus, ausgerechnet aus der Feder von Ivy Compton-Burnett. Nicht gerade prickelnde Lektüre, die dennoch in der Queen große Leselust weckt. Mit verheerender Wirkung, denn sie beginnt alsbald ihre königlichen Pflichten sträflich zu vernachlässigen und vertilgt mit enormem Leseappetit Werke von Hardy, Brookner und Proust bis hin zu Balzac und Beckett. Tja, Lesen kann selbst eine Königin dazu bringen ihr Leben umzukrempeln. Was ihr Hofstaat anstellt, um ihrer literarischen Odyssee ein Ende zu bereiten, müssen Sie, wenn Sie nicht dabei waren, nachlesen.
(E.M.)
2. September 2018
O Gott, bei Benders ist Hausputz! - HERMANN HARRY SCHMITZ
© Stadtspiegel, 5. September 2018
Lesung auf hohem Niveau
Auch die fünfte Lesung in diesem Jahr bescherte dem brillanten Vorleser und Rezitator Michael van Ahlen einen gut gefüllten Spieker – trotz mannigfacher Attraktionen und Ablenkungen des Heimatfestes. Das Publikum, vorwiegend Stammpublikum, schmunzelte, lachte schallend, prustete und gluckste. Hör- und sichtbar traf der rabenschwarze und schräge Humor des blitzgescheiten Satirikers Hermann Harry Schmitz, seine spritzig-witzige Kritik an der Welt des Kleinbürgertums ins Schwarze. Seine Protagonisten sind Kleinbürger, die vergeblich versuchen, den nickeligen Widrigkeiten des Alltags die Stirn zu bieten oder im Kampf mit den Tücken des Technologiezeitalters die großen Verlierer sind. Michael von Ahlen stöhnte überzeugend „Oh Gott, bei Benders ist Hausputz“ und widmete sich mal stirnrunzelnd, mal wild gestikulierend surrealen Grotesken aus der spitzen Feder des 1880 in Düsseldorf geborenen, Oscar Wilde und Heinrich Heine schätzenden Hermann Harry Schmitz, liebevoll „Dandy vom Rhein“ genannt, dessen skurrile Einakter und Essays auch heute noch topaktuelles, augenzwinkerndes Lesevergnügen versprechen. Sein 1916 posthum im Kurt Wolff Verlag erschienenes „Buch der Katastrophen“ ist immer noch erhältlich. Es war van Ahlens erste Begegnung mit Schmitz, der für Zeitschriften wie Simplicissimus schrieb und dessen erstes Buch „Der Säugling und andere Tragikomödien“ 1911 erschien. Der Schutzumschlag vom „Buch der Katastrophen“ (Diogenes Verlag, 1966), illustriert mit Holzstichmontagen von Horst Hussel hatte van Ahlen magisch angezogen. Die darin enthaltene Geschichte von Tante Dorchen Faßbenders Blusenkauf, die ihren sie begleitenden Neffen beinahe um den Verstand brachte, erzielte dann auch die meisten Lacher im Spieker. 1913 nahm sich Hermann Harry Schmitz in einem Hotel in Bad Münster am Stein das Leben.
(E.M.)
15. April 2018
Strafporto - FRANZ HOHLER
© Stadtspiegel, 09. Mai 2018
Strafporto - FRANZ HOHLER
Ein Sonntag im April stand wie immer unter dem Motto: Lassen Sie sich was vorlesen – natürlich von Michael van Ahlen, dieses Mal begleitet von dem Cellisten Ludger Schmidt, der die skurrilen, grotesken, satirischen, ja mitunter bizarren Geschichten des Schweizers Franz Hohler (geb. 1943) mit maßgeschneidert-schräger Musik auf seinem Cello brillant illustrierte. Dem Schweizer Schriftsteller, Kabarettisten und Liedermacher würde das gefallen, untermalt er doch als Kabarettist seine Auftritte gern mit seinem Cello.
Im bis auf den letzten Platz besetzten Spieker lauschte ein gut gelauntes Publikum – vorwiegend Stammgäste - amüsiert, schmunzelnd oder lauthals lachend den mitunter bizarren Geschichten des „Meisters der Kurzform“, der seinen Mitmenschen genau aufs „Maul“ schaut, der den unmöglichsten Landsleuten in den ungewöhnlichsten Situationen begegnet. Dass an jeder Wegbiegung seiner Prosa eine gänzlich unerwartete Wende lauert, das gefällt auch den dem schwarzen Humor zugetanen Briten. Michael van Ahlen leistete mit seinem fulminanten Vortrag einen wichtigen Beitrag, Franz Hohler auch in unseren Gefilden ausdrucksvoll vorzustellen. Wenn er mit lebhafter Gestik das Problem, wie man in der Mongolei Strafporto kassiert, beschreibt; oder wie ein einziger Satz eine ganze Nation verändert, wie ein sperriges Kleinkind sich nur dann zum Essen animieren lässt, wenn der Vater einen Hut trägt und die Mutter vom Schrank springt usw. usw.
Nach der Sommerpause geht’s am 2. September weiter mit „O Gott bei Benders ist Hausputz“ von Hermann Harry Schmitz.
4. März 2018
Die Frau aus der Sicht des Trinkers - ANTON TSCHECHOW
© Stadtspiegel, 13. März 2018
Die Frau aus der Sicht eines Trinkers - ANTON TSCHECHOW
Die Frau aus der Sicht des Trinkers und einige andere Geschichten des berühmten russischen Schriftstellers und Dramatikers Anton Tschechow hatte der Vorleser Michael van Ahlen in seiner Lesung am 04.03.2018 in seinem Programm. Schon als Medizinstudent und dann als junger Arzt hatte Tschechow eine Reihe von Humoresken und Satiren verfaßt, die in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht worden sind. Er legte dabei sein ganzes jugendliches Temperament in diese heiter-ironischen, manchmal auch sarkastischen Geschichten. Für Virginia Woolf ist er der subtilste Analytiker menschlicher Beziehungen. Michael van Ahlen erwies sich wieder als ein großartiger Interpret, der sein Publikum mitreißt.
4. Februar 2018
Così fan tutte - ALAN BENNETT
© Ruhr Nachrichten, 6. Februar 2018
32 Ehejahre haben sich aufgelöst
Die beiden Vorleser Michael und Sabine van Ahlen präsentierten den ca. 50 Besuchern der Lesung im Spieker am Sonntag das amüsante Buch „Cosi van tutte“ des englischen Schriftstellers Alan Bennett. Der Besuch der Mozart Oper stellt das Leben des Ehepaares auf den Kopf. Als sie nach Haus zurückkehren, haben Einbrecher ihre Wohnung leer geräumt. Der Fernseher, die Möbel und sogar das Toilettenpapier sind weg. Zweiunddreißig Ehejahre haben sich in Nichts aufgelöst.
Die konservativen Ransomes finden sich dadurch in einer Situation, die radikal ihr Leben verändert. Mr. Ransome, ein herrschsüchtiger Pedant, versucht, seine Haltung zu bewahren, und geht tagsüber in seine Anwaltskanzlei während seine Frau allein zu Haus die Situation langsam als Ausbruch aus dem bisherigen langweiligen Leben annimmt. Sie genießt ihr neues Leben und entwickelt sich zur eigenständigen Persönlichkeit. Nach und nach möbliert sie die Wohnung neu, Sitzsäcke ersetzen die früheren Sessel. Ein neuer Fernseher öffnet ihr die Weilt der Talkshows und damit den Zugang zur Alltagssprache, ganz im Gegensatz zur korrekt aufgesetzten perfekten und für sie langweiligen Artikulation ihres Ehemannes. Am Ende der Geschichte gelingt nur einem der Beiden der Schritt in ein neues Leben.
Sabine und Michael van Ahlen schafften es gekonnt, mit Gestik und Mimik die Charaktere in Szene zu setzen und zogen das Publikum mit dem trockenen, bissigen Humor Bennetts in ihren Bann. Amüsiert genossen die Gäste die gelungene Lesung.
Andreas Hofmann
7. Januar 2018
Novecento - ALESSANDRO BARICCO
© Lokalkompass Haltern, 9. Januar 2018
Michael van Ahlen las „Novecento“
Jacek Stam untermalte mit vorwiegend eigenen Kompositionen die Legende vom Ozeanpianisten
Die Art, wie Alessandro Baricco (geb. 1958) mit seiner feinen poetischen Sprache die Musik in das Narrative seines Monologs „Novecento – Die Legende vom Ozeanpianisten“ einbindet, ist brilliant, ja so evokativ wie die Stimme des Vorlesers Michael van Ahlen und die berührend atmosphärische Musik von Jacek Stam, deren fließenden Übergänge das Publikum begeisterten. Man denke da nur an das musikalische Duell zwischen dem legendären Jazzpianisten Jelly Roll Morton und dem geheimnisvollen T.D. Lemon Novecento, dem Titelhelden. Man hätte im Spieker eine Stecknadel fallen hören können. Es war, als hielte das Publikum den Atem an. Wer mit Bariccos Werk vertraut ist, spürte, dass sich in dieser Geschichte der ganze Zauber seiner betörend einfachen Erzählkunst meisterhaft verdichtet: Meer, Musik, Freundschaft, innere Abenteuer. Michael van Ahlen leiht dem Trompeter Tim Tooney, dem Freund Novecentos, seine Stimme, um die Legende vom Ozeanpianisten zum Leben zu erwecken, der als Säugling in einem Zitronenpappkarton auf dem Piano im Ballsaal des Passagierschiffs „Virginian“ am 1. Januar 1900 von Danny Boodman, einem schwarzen Maschinisten gefunden und aufgezogen wird. Novecento, der Zeit seines Lebens dieses Schiff nicht verlässt, entwickelt sich bereits als kleiner Junge zu einem fulminanten Klavierspieler, der später Passagiere mit seiner einzigartigen Mischung aus Volksmusik und Jazz unterhält. Ob er, als die „Virginian“, gebeutelt vom Zweiten Weltkrieg, verschrottet werden soll, an Bord bleiben wird? Wenn Sie zu denen gehören, die keine Karte für die Lesung mehr ergattern konnten, gehören, müssen Sie nach der Antwort im Buch suchen. Es lohnt sich!
Musik spielt auch bei der Lesung am 4. Februar eine tragende Rolle: Così fan tutte“ (Alan Bennett)
27. November 2017
Weihnachten bei den Buddenbrooks - Thomas Mann
© Ruhr Nachrichten, 28. November 2017
Festliche Vorzeichen
„Schon war der große Saal geheimnisvoll verschlossen, schon waren Marzipan und braune Kuchen auf den Tisch gekommen, schon war es Weihnachten draußen in der Stadt.“ Die Vorzeichen mehrten sich: Vorleser Michael van Ahlen „entführte“ seine Gäste nach Lübeck, ins Patrizierhaus der Buddenbrooks an der Mengstraße.
„Literatur im Spieker“, eine Veranstaltungsreihe der KulturStiftung Masthoff, endete für 2017 mit diesem Höhepunkt. Michael van Ahlen, ehemals Buchhändler in Recklinghausen, zitierte aus dem 8. Kapitel des ersten deutschen Gesellschaftsromans von Weltgeltung: aus „Weihnachten bei den Buddenbrooks“ von Thomas Mann. In den Fensternischen des Spiekers lagen Tannengrün und Zapfen, es brannten Kerzen, Gebäck ging durch die Reihen. Dr. Horstfried und Eva Masthoff erzeugten so viel Feststimmung wie möglich, aber an die Opulenz des Hauses der Konsulin Buddenbrook konnte das kleine westfälische Häuschen an der Grabenstiege natürlich lange nicht heranreichen. Weihnachten bei den Buddenbrooks bedeutete üppige Kost, das traditionelle Vorlesen der Weihnachtsgeschichte, das Anstimmen von „Stille Nacht, heilige Nacht“, ein prachtvoll geschmücktes Haus und Berge von Geschenken. Michael van Ahlen übermittelte in Perfektion ein stimmungsvolles, unterhaltsames Bild von der altvertrauten Zeremonie bei den Buddenbrooks. Er las in kleinen Kapiteln, zwischen denen Ute Kloyer (Violine) und Gerd Kloyer (Gitarre) das Zitierte Epochen-übergreifend musikalisch interpretierten und wunderbar atmosphärisch vervollständigten.
Thomas Mann zeichnet in seinem Buch „Die Buddenbrooks“ den Verfall einer Familie auf, die durch Getreidehandel zu Geld und Macht gelangt, und die binnen dreier Generationen fast vollständig ausgelöscht wird. Im 8. Teil seines Werks schildert Mann auf knapp 20 Seiten präzise das letzte Weihnachtsfest, das 1870 mit wehmütiger Glückseligkeit im Buddenbrookhaus gefeiert wird. Mit viel Applaus entließen die 60 Gäste (ausverkauft) die Vortragenden, die Veranstalter und ein bisschen auch sich selbst in die kommende festliche Zeit. Den Wunsch der Tante für den kleinen Hanno, dem letzten Erben des Hauses Buddenbrook, mit nach Hause tragend, vielleicht: „Sei glücklich, du gutes Kind!“
Elisabeth Schrief
29. Oktober 2017
Wir haben beide Launen - Adele Sandrock und Arthur Schnitzler
24. September 2017
Herberge der Träume – Geschichten von Oscar Wilde
© Halterner Zeitung, 26. September 2017
Die erste Lesung mit einer Hochrechnung
Das werde die „erste Lesung mit einer Hochrechnung“, kündigte Vorleser Michael van Ahlen am Sonntagabend scherzhaft an. Die Gäste der „Literatur im Spieker“ interessierten natürlich auch die ersten Ergebnisse der Bundestagswahl. Ansonsten stand aber der Schriftsteller Oscar Wilde im Mittelpunkt des Abends.
Michael van Ahlen präsentierte nicht sein wohl bekanntestes Werk, den Roman „Das Bildnis des Dorian Grey“, und auch nicht seine Theaterstücke, sondern Auszüge aus der Geschichtensammlung „Herberge der Träume“. Diese hat Oscar Wilde nicht einmal selbst geschrieben, sondern nur mündlich erzählt, auf Gesellschaften in Paris im Jahr 1883, als er dort für mehrere Monate lebte. 81 dieser Geschichten hat der französische Schriftsteller Guillot de Saix aufgeschrieben und für die Nachwelt festgehalten.
Es sind größtenteils Preziosen, Miniaturen, die einen Einblick geben in die Formulierungskunst und die pointierte Erzählweise Oscar Wildes. Immer wieder kreisen sie um die Liebe, die Schönheit, die Vergänglichkeit der ästhetischen Erscheinung. Somit reihen sie sich ein in die Thematik des Gesamtwerkes des Schriftstellers, der sich relativ offen zu seiner Homosexualität bekannte und letztlich dafür zu Gefängnishaft und Zwangsarbeit verurteilt wurde, die ihn zerbrachen.
Oft kommen die Geschichten wie ein Gleichnis daher, manchmal mit märchenähnlichen Motiven. So sagt erst ein Bettler in der Geschichte „Das verlogene Bildnis“ dem König, daß dieser dem schönen Porträt auf der Goldmünze mit seinem Konterfei nicht ähnelt. Der König bestraft ihn nicht, er dankt ihm für die Aussage. Das Einzige, was er sich mit seiner Macht und seinem Einfluß nicht kaufen kann, ist die Wahrheit.
Meist laufen die Geschichten auf eine Schlußpointe zu, sorgen am Ende für eine überraschende Wendung und ein Lachen, das dem Zuhörer manchmal im Halse stecken bleibt.
Auch im nächsten Jahr geht es mit den Lesungen im Spieker weiter, das kündigte Dr. Horstfried Masthoff von der KulturStiftung Masthoff am Abend an. Die Frage nach dem Zeitpunkt beantworteten die anwesenden Zuhörer im voll besetzten Spieker eindeutig: Es soll beim Sonntagstermin um 17 Uhr bleiben, dann allerdings jeweils am ersten Sonntag eines Monats.
Der nächste Termin: Sabine und Michael van Ahlen lesen am 29. Oktober Texte von Adele Sandrock und Arthur Schnitzler: „Wir haben beide Launen“.
Jürgen Wolter
25. Juni 2017
Der Schneckenforscher und die Wirtin - Patrica Highsmith & Roald Dahl
© Ruhr Nachrichten, 28. Juni 2017
Schaudern und schmunzeln war angesagt im Spieker
Sie sind zwei Meister des subtilen Spannungsaufbaus und des schwarzen, bösen Humors: Texte von Patricia Highsmith und Roald Dahl standen im Mittelpunkt der aktuellen Lesung im Spieker am Sonntagnachmittag.
In gewohnt nuancenreichem Vortrag präsentierten Michael und Sabine van Ahlen die bitterbösen Geschichten, bei denen der Zuhörer ab der ersten Zeile ahnt, dass alles auf eine Katastrophe zusteuert, die sich mit jedem minutiös geschilderten Detail langsam nähert.
„Die Wirtin und der Schneckensammler“ lautete die Überschrift zur Lesung, die die beiden Vorleser vor gut gefülltem Haus im Spieker präsentierten – im Rahmen der Reihe „Literatur im Spieker“, die von der KulturStiftung Masthoff ins Leben gerufen worden ist.
„Die Wirtin hat mit dem Schneckensammler gar nichts zu tun“, kündigte Michael van Ahlen an. „Beide kommen in unterschiedlichen Geschichten vor“. In der ersten Geschichte von Roald Dahl bucht der junge Billy Weaver ein Zimmer bei einer Wirtin. Er stellt fest, dass ein Papagei im Wohnzimmer tot und ausgestopft ist, ebenso der Dackel, der vor dem Kamin zu schlummern scheint. Zwei junge Männer stehen im Gästebuch, die offenbar schon seit Jahren im Haus logieren. Und dann schmeckt er den Bittermandelgeschmack in dem Tee, der ihm serviert wurde …
Auch Roald Dahl’s Geschichte von der Lammkeule führt auf humorvoll düstere Weise zu menschlichen Abgründen. Mary Maloney erschlägt ihren Mann, den Polizisten Patrik, mit einer gefrorenen Lammkeule, die sie anschließend den Polizeibeamten, die den Mord aufnehmen, serviert. Die Tatwaffe wird sozusagen verspeist.
Beide Autoren waren keine gebürtigen Briten, Highsmith stammte aus den USA, Dahl aus Norwegen. Trotzdem haben sie mit ihren Texten den perfiden schwarzen und eigentlich als typisch britisch bezeichneten Humor immer wieder perfektioniert. Schaudern und schmunzeln war also gleichzeitig angesagt bei der Lesung im Spieker.
Jürgen Wolter
28. Mai 2017
Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes - Johann Peter Hebel
30. April 2017
Das Leben für Anfänger bzw. / und / oder Fortgeschrittene - SLAWOMIR MROZEK
26. März 2017
Ich küsse Ihre rechte Schläfe - Olga Knipper und Anton Cechov
© Ruhr Nachrichten, 28. März 2017
„Liebst du mich nicht mehr?“
Michael und Sabine van Ahlen lesen Briefe von Anton Cechov und Olga Knipper
„Jeder deiner Sätze wird gebraucht“, schreibt Olga Knipper 1903 an ihren Ehemann Anton Cechov. Der Schriftsteller lebt in den Wintermonaten auf der Krim, die Schauspielerin meist in Moskau. Ihr fünfjähriger Briefwechsel ist ein Zeugnis der Weltliteratur und ein intensives Kaleidoskop einer Fernbeziehung. Michael und Sabine van Ahlen stellten ihn am Sonntag im Spieker in Auszügen vor.
Es war die dritte Veranstaltung der Reihe „Literatur im Spieker“, zu der die Kulturstiftung Masthoff in Kooperation mit Michael van Ahlen eingeladen hatte.
Anton Cechov, erfolgreicher russischer Autor, hatte die Schauspielerin Olga Knipper 1898 bei den Proben zu einer Neuinszenierung seines Stücks „Die Möwe“ kennengelernt. Ein Jahr später zieht er sich teilweise auf die Krim zurück und kauft in Jalta ein Haus. Er folgt damit einem Rat seiner Ärzte, denn Cechov leidet an Tuberkulose.
Der Briefwechsel, den die beiden Vorleser in Haltern vorstellten, beginnt 1899. Zunächst noch vorsichtig schreiben sich die beiden; aus dem förmlichen „Sie“ wird bald ein „Du“. Ihre Liebe wächst und auch die Intensität ihres Briefwechsels. Briefe sind die einzig mögliche Form der Kommunikation vor allem in den langen Wintermonaten. Sie sind ein brüchiges und manchmal trügerisches Mittel: Es dauert Tage, manchmal Wochen, bis ein Brief zugestellt wird. Zeiten, in denen die Liebenden immer wieder von Zweifeln geplagt werden. „Liebst du mich denn nicht mehr?“, fragt Olga Knipper verzweifelt in einem Brief.
Sie heiraten im Mai 1901, im März 1902 erleidet Olga Knipper eine Fehlgeburt, eine weitere Belastungsprobe für ihre Beziehung, wünscht sich Cechov doch von ihr sehnlichst ein „halbdeutsches Kind“. Ihre Briefe handeln von ihrer Liebe, von der Arbeit am Theater und an den Werken, die Cechov schreibt. Auf der Krim entsteht das Drama „Drei Schwestern“, in dem Olga Knipper in Moskau eine der Hauptrollen spielt. So ist ihr Briefwechsel auch ein Zeugnis des kulturellen Lebens in Russland zur Jahrhundertwende.
Cechov stirbt 1904. Im August des Jahres besucht Olga Knipper sein Grab, schreibt ihm noch einmal: „Wenn ich dir schreibe, scheint es, als ob du lebst“. Sie heiratet bis zu ihrem Tod 1959 nicht wieder.
Sabine und Michael van Ahlen gestalteten den Briefwechsel intensiv und gefühlsnah, ließen die Freude und die Ängste der beiden Protagonisten lebendig nachvollziehbar werden, und ernteten dafür lang anhaltenden Applaus der 50 Besucher.
Jürgen Wolter
26. Februar 2017
Der berühmte Springfrosch von Calavares - Mark Twain
© Ruhr Nachrichten, 01. März 2017
Twain als großes Vergnügen
Vorleser und Musiker bescherten viel Genuss
Er war Schriftsetzer, Schiffslotse, Goldsucher, Journalist und Schriftsteller. Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer machten ihn weltberühmt. Vorleser Michael van Ahlen kennt noch ganz andere Seiten von Mark Twain. Die schlug er Sonntag im Spieker auf.
In der zweiten Folge von „Literatur im Spieker“ lernten die Zuhörer den amerikanischen Schriftsteller (1835-1910) als einen literarischen Entertainer kennen, bei dem durch übertreibendem Humor und Satire das Alltäglichste zum grotesken Abenteuer wird. Michael van Ahlen, ehemals Buchhändler in Recklinghausen, begann zunächst mit der burlesken Biographie Mark Twains: Dieser berichtet lang und breit von seinen mal edlen, mal zwielichtigen Vorfahren – zurück gehend bis ins zwölfte Jahrhundert - kommt dann jedoch ganz am Ende zu der Überzeugung, dass es dem Leser gegenüber rücksichtsvoller wäre, mit der Veröffentlichung seiner eigenen Geschichte so lange zu warten, bis er gehängt sei (wurde er natürlich nicht, sondern 1910 mit allen Ehren begraben). Als Samuel Langhorne Clemens, denn das ist der eigentliche Name des Schriftstellers.
Das Pseudonym Mark Twain entlieh er der Seemannssprache. Es bedeutet "zwei Faden Wassertiefe", was so viel ist wie etwa 3,75 Meter. Daraus zu schließen, Mark Twain bewege sich schreibend nur an der Oberfläche, wäre gewiss falsch. Michael van Ahlen nannte ihn vielmehr einen „fulminanten Geschichtenerzähler“ und belegte das unter anderem mit Passagen aus der skurrilen Sammlung „Der berühmte Springfrosch von Calaveras“ oder den Tagebuchaufzeichnungen „Bummel durch Europa“.
Michael van Ahlen erwies sich einmal mehr als passionierter, versierter Vorleser, der die komischen, kurzweiligen, zeitlosen Zuspitzungen Mark Twains mit schauspielerischen Akzenten perfekt übermittelte. Diesmal kam er nicht allein. Stefan Werni spielte zwischendurch Jazz-Standards auf dem Kontrabass. Ungewöhnlich, aber interessant. Über Mark Twain sagte er: „Ich mag seine spitzfindigen Texte.“ Über den Spieker: „Ein schöner Ort mit guter Akustik.“
Dem Publikum gefällt die sonntägliche Literaturreihe. Rosemarie Büscher hat ihre Freude daran, dass die Kulturstiftung Masthoff als Veranstalter den Spieker neu belebt. Martin Busse mag den intimen Charakter der Reihe und sagt: „Dr. Masthoff hat wieder einmal ein gutes Gespür für ein neues Kulturevent bewiesen.“ Heike Nagel aus Recklinghausen lobte die gelungene Mischung aus Wort und Musik: „Ich habe heute schöne neue Seiten Halterner Kultur kennengelernt.“
Elisabeth Schrief
29. Januar 2017
Wenn der RINGEL- den BUSCH natz(t), freut sich der KÄSTNER
© Ruhr Nachrichten, 31. Januar 2017
"Lebe mäßig, denke klug"
Vorleser Michael van Ahlen eröffnete eindrucksvoll Literatur-Reihe im Spieker
Die Reihe "Literatur im Spieker" ist Sonntag gestartet mit einem amüsanten Potpourri von Gedichten und Geschichten der drei großen Humoristen Wilhelm Busch, Joachim Ringelnatz und Erich Kästner. "Ich bin gekommen, um Ihnen vorzulesen", begrüßte Michael van Ahlen sein Publikum und ließ dann fast zwei Stunden eindrucksvolle Hörwelten entstehen.
Der pensionierte Buchhändler aus Reddinghausen überschrieb die Zeitspanne zwischen sonntäglicher Kaffeezeit und Abendbrot in dem an Vergangenheit reichen Raum mit dem vielversprechenden Titel "Wenn der Ringel- den Busch natz(t), freut sich der Kästner" und füllte sie mit lyrischen Späßen und Nachdenklichkeiten.
Warum er ausgerechnet dieses Trio wählte? "Für mich sind Ringelnatz, Busch und Kästner die drei besten deutschen Humoristen. Mit Busch bin ich groß geworden, mit Ringelnatz verbindet mich die Liebe zum Norden und Kästner gehört zu den Klassikern der deutschen Literatur", erklärte er seinem Publikum im von Kerzenschein erleuchteten über 200 Jahre alten Spieker. 56 Eintrittskarten waren schnell vergeben. "Ich mag diese Nähe zum Publikum, die gemütliche Enge. Ehrlich gesagt: Ich fühle mich hier bestens!" Das Publikum auch. Es hing an seinen Lippen, als Michael van Ahlen melodisch, voller Emotionen und gestenreich die absurden, vergnüglichen, schrulligen und skurrilen Texte vortrug. Über Verzicht, alte Liebe und Leidenschaft, über Politiker, Bücherfreunde und Abgründe der kleinbürgerlichen Existenz hatten sich die Berühmtheiten der Literaturgeschichte ihren Reim gemacht:
Bei Wilhelm Busch wählte Michael van Ahlen das erste (nicht illustrierte) Buch "Kritik des Herzens", das 1874 vom Publikum zunächst verschmäht worden war. ,,Enthaltsamkeit ist das Vergnügen an Sachen, welche wir nicht kriegen. Drum lebe mäßig, denke klug. Wer nichts gebraucht, der hat genug!" - einfach, leicht und gedankenvoll kommentierte Busch das Leben und bleibt damit gültig bis heute. Spöttisch trieb es Erich Kästner, der als "Sänger der kleinen Leute" galt: ,,Ich kam zur Welt und lebte trotzdem weiter." Ringelnatz schrieb 2500 kraftvolle Gedichte, zum Beispiel über allseits bekannte, weltreisende Hamburger Ameisen. Bekanntes und Unbekanntes bereitete vergnügliche literarische Stunden, für die der Veranstalter Dr. Horstfried Masthoff (Kulturstiftung Masthoff) herzlich dankte. In vier Wochen geht es weiter.
Nur zu gut eignet sich Kästners Knittelvers über die kleine Stadt am Sonntag zum Widerspruch: Wenn die Stunden kleine Schritte machen und die Langweile Visite hält - dann hat der Satiriker ganz sicher nicht Haltern gemeint.
Elisabeth Schrief